22.09.2015

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Vision System

Forschung aus innerem Antrieb

An die erste Begegnung mit seinem späteren Chef denkt Abdelmalek Nasraoui noch oft zurück: Als junger Wissenschaftler am Kernforschungszentrum Karlsruhe war er ausgewählt worden, die Ergebnisse einer Machbarkeitsstudie zum Einsatz der Bildverarbeitung vor einem größeren Publikum vorzustellen – Gerhard Schubert war eigens für die Präsentation angereist.


Abdelmalek Nasraoui: Angewandte Wissenschaft

Als er ein simuliertes Bild sah, in dem der Schwerpunkt und die Drehlage von Pralinen markiert waren, erkannte er sofort das Potential dieser Ergebnisse. „Und bei mir war der Funke übergesprungen“, erinnert sich Nasraoui. Er entschied sich für die angewandte Wissenschaft in der Praxis und zog nach Crailsheim, um in einem Unternehmen mit damals 200 Mitarbeitern an der Verbindung von Bildverarbeitung und Robotik zu forschen.

Jüngstes Resultat der denkwürdigen Begegnung: Schuberts patentierter 3D-Scanner, ein Durchbruch in einem hart umkämpften Feld, weltweit bisher einmalig. Nicht nur für die Verpackungsindustrie, sondern auch für Nasraoui persönlich stellt er einen wichtigen Meilenstein auf einem langen Weg voller Herausforderungen dar. Nasraoui blickt zurück: „Als Kind erlebte ich den Krieg in Algerien. Meine Eltern waren Analphabeten, ich hatte das Glück, als Einziger von acht Geschwistern weiterführende Schulen besuchen zu dürfen. Das war nicht ohne große Opfer für meine Eltern und meine Geschwister möglich. Die algerische Regierung bot Stipendien für besonders begabte Gymnasiasten, und ich bewarb mich zunächst für die USA. Dort wurde ich auch angenommen, allerdings erreichte mich die Zusage nicht rechtzeitig, da wir ohne jede Verkehrsanbindung in den Bergen lebten. So kam es, dass ich stattdessen nach Deutschland ging. Während meines Studiums war ich mir sicher: Ich möchte in der Forschung arbeiten und womöglich nach der Promotion in die Lehre gehen. Doch das Treffen mit Gerhard Schubert hat meine Pläne abermals abrupt verändert. Ich wollte unbedingt den sehenden Roboter, der als gemeinsames Forschungsprojekt zwischen dem Kernforschungszentrum Karlsruhe und Schubert in Entwicklung war, in die Praxis begleiten.“

Die Abfolge erstaunlicher Wendungen in Nasraouis Leben führte letztlich zur Entstehung der Bildverarbeitung als Wissenschaft.

Geburtsstunde einer Symbiose

In den 1980er Jahren steckte dieser Wissenschaftszweig noch in den Kinderschuhen. Über den damaligen Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg, Lothar Späth, entstand 1984 der Kontakt zwischen Gerhard Schubert und dem Kernforschungszentrum Karlsruhe, der zur Geburtsstunde der Symbiose von Robotik und Vision werden sollte. Das erste Ergebnis war eine Variante des „Pattern Considering Systems“ Pacos, ein programmgesteuertes Bildanalyse-System, das beim Verpacken von Kleinteilen ungeordnete Objekte auf einem Fließband erkennen konnte. Es wurde zunächst zusammen mit Flächenkamera und Schubert-Roboter auf der Hannover-Messe 1985 ausgestellt. Zwei Jahre später, nachdem Nasraoui zusammen mit einem weiteren Know-how-Träger nach Crailsheim gewechselt war, wurde ein völlig neues, im Hause Schubert entwickeltes Konzept realisiert und auf der Interpack 1987 zusammen mit der Pralinenpackstraße Speedline vorgestellt. Anfragen aus der Gebäckindustrie brachten bald neue Herausforderungen mit sich. Die breiteren Transportbänder, die bei den Backwarenherstellern zum Einsatz kommen, machten die Entwicklung von Zeilenkameras notwendig. Um optische Effekte wie die Parallaxe zu vermeiden, ließ man die Arbeit mit Kameras schließlich hinter sich und entwickelte die ersten Scanner. Auf den Durchlichtscanner, der sich für das Abscannen geometrischer Abmessungen eignet, folgten Auflichtscanner und Farbauflichtscanner für die Oberflächenkontrolle und zuletzt der 3D-Scanner.


„Von den ersten Gehversuchen in Karlsruhe über meinen Einstieg in Crailsheim bis zur Interpack 1987 war es eine sehr fruchtbare Phase, in der es Schlag auf Schlag ging“, sagt Nasraoui. „Kaum war die Bildverarbeitung aus der Taufe gehoben, konnte auch schon ihr Einsatz in der Verpackungsindustrie demonstriert werden.“ Nasraoui bewältigte die hohe Arbeitsbelastung in dieser Zeit durch einen starken Willen und die tiefe Überzeugung, an einer zukunftsweisenden Entwicklung teilzuhaben. Seine wichtigste Motivation ist der Wunsch, das Leben der Menschen durch angewandte Wissenschaft zu verbessern. „Die Menschen haben Angst, durch Maschinen ersetzbar zu sein, doch die Maschinen nehmen ihnen nur die stupiden und schädlichen Arbeiten ab und eröffnen dem Menschen dadurch die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln. Mit meiner eigenen Tätigkeit dazu beitragen zu können, erfüllt mich mit Glück und Stolz.“

Autonome Produktion dank Bildverarbeitung

Die Kombination Robotik und Bildverarbeitung könnte in Zukunft auch zu einem wichtigen Element einer vernetzten Produktion im Sinne von Industrie 4.0 werden. Aktuell gibt es die Überlegung, den 3D-Scanner auch in Fertigungsanlagen unterschiedlicher Industrien einzusetzen, um mangelhafte Produkte schon lange vor dem Verpackungsvorgang ausschleusen und sich einen Teil der Produktionsstufen dadurch sparen zu können. „Meine Vision ist die autonome Produktion, in der der Scanner in einer solchen Situation zugleich eine Rückmeldung an die Technologien der vorhergehenden Produktionsschritte gibt, so dass der Schaden automatisiert behoben werden kann: bei zu dunkel gebackenen Keksen etwa die Information, dass der Ofen nicht richtig eingestellt ist. Der Produktionsleiter könnte diese Vorgänge über sein Smartphone von jedem beliebigen Ort auf der Welt überwachen, ohne eingreifen zu müssen“, erläutert Nasraoui. „In der gewonnenen Zeit kann er sich qualifizierteren Tätigkeiten widmen.“


Dass der Fortschritt – ungeachtet aller Ängste des Menschen – ohnehin unaufhaltsam ist, sieht Nasraoui auch, wenn er sein Herkunftsland Algerien besucht. „Das einstige Stammesleben in den Aurès-Bergen gibt es nicht mehr, die Menschen haben sich angeschlossen an die Moderne. Sie leben jetzt überwiegend in Ortschaften, mit Handys und allen Kommoditäten. Natürlich bleibt beim Wandel immer auch etwas auf der Strecke. Man sollte aber nach vorne schauen: Was bringt uns die Entwicklung, wie kann man sie zum Wohle des Menschen einsetzen und Missbrauch vermeiden?“ Nasraoui hält heute Vorträge auf internationalen Konferenzen, auch an Universitäten in Algerien, und versucht gemeinsam mit anderen in Schlüsselpositionen weltweit operierenden Landsleuten sein Heimatland zu unterstützen. „Ich kam aus einer traditionellen Gesellschaft in einer der abgelegensten Regionen der Welt und hätte meinen Weg ohne die Unterstützung anderer Menschen nicht gefunden. Davon will ich der Welt etwas zurückgeben.“


Die Entscheidung zugunsten Schuberts hat er bis heute nicht bereut. Das heute über 1.000 Mitarbeiter große Unternehmen bietet ihm die Freiräume, die Forschungs- und Entwicklungsarbeit immer benötigt, ein gesundes Umfeld und Kollegen, die gut miteinander umgehen. „Das Vertrauen der Geschäftsführung in uns ist enorm, ich habe bei Schubert Freiräume wie wohl in kaum einer anderen Arbeitsumgebung. Wenn ich morgens auf das Firmengelände fahre und mir die beachtliche Entwicklung der Firma Schubert vergegenwärtige, empfinde ich eine große Freude, an diesem Erfolg beteiligt zu sein. Bahnbrechende Innovationen können hier aus einem inneren Antrieb umgesetzt werden, ohne Druck von oben. Man muss dankbar sein, wenn man so arbeiten darf.“

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